Zum Tag der Artenvielfalt

Aschaffenburg, 22.05.2020

Heute ist der internationale Tag der biologischen Vielfalt. Die Bundesregierung hatte sich für sich für das Jahr 2020 330 Ziele in ihrer nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt gesetzt und wollte diese mit 430 Maßnahmen in die Tat umsetzen. Zeit, eine kurze Bilanz zu ziehen und einen Blick auf die Artenvielfalt im Wald zu werfen.

Die zentrale Forderung der schwarz-roten Bundesregierung in ihrem Kabinettsbeschluss vom 7. November 2007 ist mit Blick auf die Artenvielfalt im Wald die Folgende:
„2020 beträgt der Flächenanteil der Wälder mit natürlicher Waldentwicklung fünf Prozent der Waldfläche.“ Deutschland hatte sich nämlich bereits in Rio 1992 dazu verpflichtet, 5 Prozent des Waldes aus der forstlichen Nutzung zu nehmen und der natürlichen Waldentwicklung zu überlassen. Laut Nordwestdeutscher Forstlicher Versuchsanstalt (Göttingen) stehen wir Stand heute bei 2,3 Prozent.
Man kann trefflich darüber streiten, ob die Stilllegung großer Waldflächen das richtige Mittel im Jahr 2020 ist. Ich bin der Auffassung, dass es beides braucht: sich selbst überlassene Waldflächen, die sich in jahrhundertelangen Sukzessions-Prozessen zu standortangepassten Ökosystemen weiterentwickeln, die der Klimakrise standhalten. Von diesen natürlichen Entwicklungsprozessen können wir lernen und die moderne Forstwirtschaft anhand dieser natürlichen Prozesse immer nachhaltiger ausrichten. Solange wir aber den Rohstoff Holz für Energiegewinnung, klimaneutrales Bauen und die Papierherstellung nutzen wollen, ohne dafür auf Holz aus osteuropäischem Raubbau zurückgreifen zu wollen, bleibt eine nachhaltige Bewirtschaftung der eigenen Wälder aber das Mittel der Wahl. Und nur durch aktiven Waldumbau mit Holznutzung, Schädlingsbekämpfung und Pflanzung standortangepasster Baumarten kann dies in Zeiten der Klimakrise noch gelingen. Denn bis in einem Fichtenreinbestand unter geschlossenem Fichtenschirm im natürlichen Sukzessionsprozess ein artenreicher Buchen-Eichen-Mischwald entstanden ist, dürften die wenigsten von uns noch auf dieser Erde verweilen. Oder kurz: der Mensch hat diese Fichtenreinbestände angelegt, um schnellwachsendes Bauholz zu gewinnen. Also muss nun auch der Mensch diesen Wald wieder zu einem artenreichen Mischwald umbauen. Das mag auch von allein gehen, dauert aber viel zu lange. Denn unter Fichte wächst erstmal nur eines: nämlich Fichte. Hier ist der Mensch und die nachhaltige Forstwirtschaft unerlässlich.

Unabhängig von dieser Debatte geht aber Folgendes überhaupt nicht: wenn man 1992 unterzeichnet, 5 Prozent der eigenen Waldflächen aus der Nutzung zu nehmen, diese Forderung 2007 nochmal in einer Nationalen Strategie bekräftigt, um dann 2020 nicht einmal die Hälfte dieses Ziels zu erreichen. Das ist unglaubwürdig und bringt uns nicht weiter. Die Bundesregierung setzt sich reihenweise Ziele und verfehlt eines nach dem anderen. Soll das die Nationale Strategie sein?
Die Forstpolitik in Deutschland beruht derzeit auf einem massiven Stellenabbau in den Forstverwaltungen, um Kosten zu sparen bzw. diese in die Privatwirtschaft auszulagern. Gleichzeitig will man den Wald umbauen mit Försterinnen und Förstern, die man nicht hat. Und den Wald mit der Stilllegung großer Flächen sich selbst überlassen mit Zielen, die man nicht erreicht. Das ist ein forstpolitisches Versagen auf ganzer Linie, das mit den Forstreformen in den Ländern unter Ministerpräsident Stoiber begann und sich bis heute durchzieht.

Was der Wald heute am Tag der Artenvielfalt braucht ist zunächst einmal eine Forstpolitik, die den Forstleuten den Rücken stärkt, damit diese mit vielfältigen Ideen und ausreichend Personal die Waldkrise entschlossen angehen, den Waldumbau noch viel stärker als bisher in die Tat umsetzen und den internationalen Verpflichtungen, die Deutschland unterzeichnet hat, durch die Stilllegung von weiteren 2,7 Prozent der deutschen Waldflächen nachkommen können.
Wir können darüber streiten, wie sinnvoll das ist. Wir können darüber streiten, ob es großflächige Stilllegungen in Form von Nationalparks sein müssen oder ob man mit Trittsteinkonzepten kleinere Biotope aus der Nutzung nimmt und deren Fläche in die insgesamt stillgelegten Flächen mit hineinrechnet. Aber einfach sehenden Auges die eigenen Ziele zu verfehlen, ohne auch nur eine Debatte anzustoßen, wie man die Ziele noch erreichen könnte, ist jedenfalls nicht der richtige Weg – und schädigt das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit unserer Demokratie.

Die Nationale Strategie der Bundesregierung enthält einige weitere Punkte, die verfehlt wurden. Ein wesentlicher weiterer Punkt, ist folgender: „Ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Waldverjüngung und Wildbesatz bis 2020.“ Auch hiervon sind wir weit weit entfernt. Ich werde meine Gedanken zu diesem Thema bald in einem weiteren Post niederschreiben.

Heute am Tag der Artenvielfalt dürfen wir bei all den wichtigen und richtigen Debatten über die Rolle der Landwirtschaft und über eine Agrarpolitik, die die Artenvielfalt schützt und finanziell honoriert, nicht den Wald vergessen, der in Zeiten trockener Sommer und warmer Winter mehr denn je politische Maßnahmen und personelle Unterstützung benötigt, um in seiner Vielfalt erhalten und geschützt zu werden.